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Antira Landtag Watch (21): Mai 2021

Bewegte Wochen liegen zwischen dem letzten und diesem Newsletter. Vor allem Abschiebungen wurden erneut kontrovers diskutiert. In Berlin gelang es Aktivist*innen zur Afghanistan-Abschiebung am 07. April ab Tegel, gar bis auf das Flughafengelände vorzudringen, dort laut gegen die Rückführung in den Krieg zu protestieren und die Brutalität des Vorgangs zu dokumentieren. Aus Sachsen wurde übrigens eine Person abgeschoben.

Gleichzeitig haben verschiedene, zivilgesellschaftliche Akteur*innen die Kampagne "Bleiberecht statt Abschiebung" | Gekommen um zu Bleiben! [https://bleiberechtstattabschiebung.de/] gestartet. Am 12. Juni von 12 bis 16 Uhr wird sich das nächste Mal getroffen. Geplant ist es unter anderem, einen Tag des Bleiberechts auszurufen. Hier sollen alsbald dezentrale Aktionen stattfinden.

Und auch in Sachsen bleibt das Thema weiter in der Diskussion, auch, durch den neuen Podcast "So Nicht Bestellt!", produziert und gesendet in Borna. Die ersten beiden Folgen sind nun schon online! https://so-nicht-bestellt.podigee.io/

Im aktuellen Newsletter geht es um drei große Themen:

 

Abschiebemoratorium statt Nerven-Poker! Lehren aus Fall von Faisal Jahangir anwenden!

Es war ein erbarmungsloses Spiel, was das Innenministerium im März mit Faisal Jahaniger aus dem Landkreis Meißen spielte. Der Mensch pakistanischer Staatsbürgerschaft hätte eigentlich auf dem  Erst wird er auf Antrag der zuständigen Ausländerbehörde im Abschiebeknast Dresden inhaftiert. Dann steigt der Druck auf den Innenminister - ein SPD-Abgeordneter, das Bistum Dresden-Meißen, die Abschiebehaftkontaktgruppe, der Sächsische Flüchtlingsrat, nicht zuletzt die Linksfraktion - setzten sich für ihn ein. Der Innenminister gab dem Druck nach, löste den Fall aber nicht bis zum Ende. Er warf der Härtefallkommission den Fall von Faisal Jahangir regelrecht vor die Füße. Sein Gesicht konnte er damit aber auch nicht wahren, denn die Härtefallkommission musste den Fall wegen absoluter Ausschlussgründe ablehnen. Jahangir, bereits aus der Haft entlassen worden obwohl noch kein Antrag bei der Kommission vorlag, weiß nun immer noch nicht, was mit ihm geschehen soll. Derweil wurden zwei weitere seiner Mitinhaftierten am 17. März mit abgeschoben, insgesamt waren elf Menschen aus Sachsen betroffen https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2021/03/19/kurzinfo-11-personen-aus-sachsen-nach-pakistan-abgeschoben/].

Und genau um diese Menschen geht es, über den Fall von Faisal Jahangir hinaus. Schon lange fordert die Linksfraktion ein Abschiebemoratorium und verdeutlichte diese Forderung auch in einer Aktuellen Debatte, eine Woche nach der Sammelabschiebung [https://www.landtag.sachsen.de/de/aktuelles/videoarchiv/sitzung/1573/3?page=1, ab Minute 75, PM und Reden von Jule Nagel: https://jule.linxxnet.de/kein-einzelfall-humanes-bleiberecht-statt-nerven-poker-abschiebemoratorium-jetzt-25-03-2021/]. Und so wurde der Innenminister Folgendes gefragt:

"Hat der Fall sowie die Lösung des Falls (Härtefallkommission bewirkt Entlassung aus Abschiebehaft sowie Abbruch der Abschiebung) von Faisal Jahangir Auswirkungen auf künftige, ähnliche Fallkonstellationen, insbesondere das 

a) Verbot der Abschiebehaft für verheiratete Menschen

aa) mit Menschen deutscher Staatsbürgerschaft 

ab) mit Menschen einer anderen als der deutschen Staatsbürgerschaft 

b) Verbot der Abschiebung für verheiratete Menschen

ba) mit Menschen deutscher Staatsbürgerschaft

bb) mit Menschen einer anderen als der deutschen Staatsbürgerschaft

und welche Konstellationen können zu ähnlichen Falllösungen führen, insbesondere betreffend das

c) Zahlenverhältnis der Unterstützer*innen nach

ca) parteipolitischer Couleur

cb) Religionszugehörigkeit

cc) Mandate

cd) Kontakt ins Innenministerium

cf) Kontakt zum Sächsischen Ausländerbeauftragten bzw. weiteren (wenn ja, welchen) Mitgliedern der Härtefallkommission

und wenn Auswirkungen , wie gedenkt das Innenministerium, diese Regelungen nachvollziehbar umzusetzen?"

Die Antwort des Innenministeriums [https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=5882&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined]: der Fall hat keine "präjudizierende Wirkung", und das, was unter c) abgefragt wurde, kenne das Aufenthaltsrecht gar nicht. Nun, auch für den Fall von Faisal Jahangir musste das Aufenthaltsrecht kreativ neu erfunden werden - von einem CDU-Innenminister. Möglich ist es also und nichts anderes als eine Neu-Erfindung des Aufenthaltsrechts fordern wir als LINKE.

Europäischer Migrationspakt & Frontex

Als reine Katastrophe - so lassen sich die Frontex-Operationen in der Ägäis beschreiben. Mindestens in ein Push Back selber verwickelt, bei mehreren Push Backs in der Nähe, das ergaben Recherchen von Journalist*innen über die Frontex-Beamt*innen. Wer da mitmacht, beteiligt sich also potentiell an illegalen Akten, denn nichts anderes sind Zurückweisungen von Schutzsuchenden an Grenzen.

Eine Kleine Anfrage https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=5569&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined] zeigt nun: innerhalb von sechs Jahren beteiligten sich 83 sächsische Polizist*innen an Frontex-Einsätzen in Italien, Bulgarien und Griechenland. Drei waren im August 2020 zugegen, als Frontex ein Push Back nachgewiesen wurde. Innenminister Roland Wöller teilt mit, dass er keine Erkenntnisse darüber habe, inwieweit seine Beamt*innen in die Vorgänge verwickelt sind. Der von Juliane Nagel und der sächsischen Europaabgeordneten Cornelia Ernst erhobene Forderung, die sächsischen Beamt*innen abzuziehen, bis Transparenz und Aufklärung [https://jule.linxxnet.de/beteiligung-saechsischer-polizeibeamter-an-frontex-einsaetzen-sofort-beenden-06-04-2021/] hergestellt sind, kommt er nicht nach.

Das ist angesichts der neuesten Entwicklungen auch keine Überraschung. Erneut sind es journalistische Recherchen, die Verhinderungsversuche des Bundesinnenministeriums aufdecken. In einer E-Mail vom 1. April spricht sich eine Mitarbeiterin des Hauses gegenüber dem Verwaltungsrat von Frontex dagegen aus, eine Arbeitsgruppe zu schaffen, die die Vorwürfe aufklären soll. Fünf Fälle sollen nach dem Willen der EU-Kommission und einiger EU-Mitgliedsstaaten aufgeklärt werden.

Fraglich ist, ob die sogenannte "Grenzschutzagentur" so überhaupt gezähmt werden kann, ist sie doch durch und durch auf Abschottung getrimmt. Abschottung, die auch weiterhin von der Sächsischen Staatsregierung ausdrücklich erwünscht wird.  Das offenbart die Antwort auf den Antrag der Linksfraktion, dass sich Sachsen gegen den EU-Migrationspakt stemmen solle. Da wird frei heraus geschrieben, es gehöre zur "Standardforderung" der Staatsregierung gegenüber dem Bund, die "Kooperation mit den Transit- und Herkunftsstaaten" zu intensivieren. Als Vorbild solle der EU-Türkei-Deal von 2016 dienen, also ausgerechnet der Vertrag, der die Zustände auf den griechischen Inseln erst manifestiert hat [https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=5867&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined].

Die abschließenden Forderungen von Ernst und Nagel: weg mit dem EU-Türkei-Deal, her mit der EU-Mission zur zivilen Seenotrettung.

Der Landeshaushalt - keine Kurskorrektur, minimale Erfolge

Am 18./ 19. Mai soll der Sächsische Landtag nun endlich den Doppelhaushalt 2021/22 verabschieden. Eine Überbrückung sei auf Grund der Corona-Pandemie nötig geworden, meint die Staatsregierung. Die Linksfraktion hat die Haushaltsentwürfe analysiert und deutlich gemacht, wo auch und vor allem bei den Finanzen Stellschrauben für eine humanitäre Asyl-und Migrationspolitik gedreht werden können.

- Der Knast

So können die 140.000 Euro pro Jahr an Zuweisungen an andere Länder im Rahmen der Abschiebehaft gestrichen werden, wenn die Ausländerbehörden keine Haftanträge mehr stellen. Jedoch: der Abschiebeknast bleibt. Einen entsprechenden Antrag, die finanziellen Mittel hierfür zu streichen und das Abschiebungshaftvollzugsgesetz aufzuheben , hat die Koalition abgelehnt.

- Die Lager

Immerhin: Die zunächst fehlenden Kosten für die Asylverfahrensberatung in den Aufnahmeeinrichtungen wurden wieder einkalkuliert. Um Rechtssicherheit für Geflüchtete zu schaffen, muss sie wieder von einem unabhängigen Wohlfahrtsverband durchgeführt werden, auch das soll gewährleistet werden. Hier hat der Druck von demokratischer Opposition und Zivilgesellschaft produktiv gewirkt. Sachsen war das einzige Bundesland ohne eine solche Beratungsstruktur.

Auch für ein neues Gewaltschutzkonzept werden Mittel bereitgestellt. Eine externe Expert*innenrunde soll dies erarbeiten. Eine Kriminolog*in, eine Psycholog*in, eine Sozialarbeiter*in, die Polizei und die Heimbetreiber sollen mitwirken. Eine ausgeglichenerer Kreis wäre hier wünschenswert gewesen, liegt das Gewicht doch klar bei Akteur*innen, die Expertise bei der Intervention haben mögen, jedoch nicht bei der Gewaltprävention. Progressive Papiere, Konzepte und Mindeststandards sind bekannt, es bleibt zu hoffen, dass sie mit einbezogen werden. Übrigens, auch wenn es nichts mit dem Haushalt zu tun hat: ein Gewaltschutzkonzept bringt nichts, wenn die Hausordnung restriktiv ist. Das ist in Sachsen nach wie vor der Fall. Beides muss überarbeitet werden!

Weiterhin wird es künftig in jeder Aufnahmeeinrichtung einen Standort geben, um besonders Schutzbedürftige zu identifizieren. Das Clearingverfahren zielt darauf ab, unter anderen traumatisierte und psychisch erkrankte Menschen, LGBTIQA*-Personen und weitere, in der EU-Aufnahmerichtlinie definierte Gruppen zu erkennen. Ein genauer Blick bleibt nötig, denn der Identifizierung schließt sich die Versorgung an. Angesichts immer weiter verlängerter Aufenthaltszeiten in den Lagern ist hier weiterhin Skepsis angebracht.

- Der Flughafen

Was weiterhin kommt, ist die Abschiebebeobachtung am Flughafen Leipzig/ Halle. Etwa 90.000 Euro werden 2021 dafür bereitgestellt. Ein minimaler Erfolg, noch nicht einmal im Kampf gegen Abschiebungen, sondern für mehr Transparenz beim Abschiebevorgang, der über Jahre hinweg im Parlament und außerhalb erkämpft werden musste.

- Die Aufnahme

Die Koalition will 150 Menschen aus Krisenregionen aufnehmen, verfolgte Christ*inenn oder Frauen* und Kinder aus Nordsyrien oder dem Nordirak sollen in Abstimmung mit dem Bund und dem UNHCR kommen dürfen. Das wurde bereits im Koalitionsvertrag vereinbart, nun werden die finanziellen Mittel bereitgestellt. Das Vorhaben bleibt eine humanitäre Geste. Mehr nicht.

- Die Förderung

Um die Streichung von erfolgreichen Integrationsprojekten in Zukunft zu verhindern, will die Linksfraktion die Förderrichtlinie in ihrem Teil 1 auf 15 Millionen Euro erhöhen. Die Koalition hat hier zwar nachgebessert, in dem sie die Psychosozialen Zentren und die Förderung des Dachverbands Sächsischer Migrantenorganisationen aus dem Budget herausgelöst hat, dies wird aber nicht reichen. So bleiben 10,5 Millionen statt der geforderten 15 Millionen für die Projektförderung, unter die nach wie vor wichtige, gleichwohl finanzstarke Angebote wie die flächendeckende Asylberatung in den Kommunen fallen.

Außerdem fordert die Linksfraktion wiederholt, dass ein landesweiter Betreuungsschlüssel von 1:80 etabliert wird, wie ihn die Liga der Wohlfahrtsverbände und der Sächsische Flüchtlingsrat seit Langem fordern. Dafür hätte das Budget der Flüchtlingssozialarbeit erhöht werden müssen. Der Betreuungsschlüssel ist in den Landkreisen und Kreisfreien Städten sehr verschieden und reicht von 1 Fachkraft auf 50 Personen in der Stadt Leipzig bis hin zu 1: 200 in Mittelsachsen (Siehe Antwort auf die Kleine Anfrage Drs 7/5123 https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=5123&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined)

- Ein Resümee

Die Koalition hakt mit diesem Doppelhaushalt zahlreiche asylpolitische Vorhaben ab, auf die sich im Koalitionsvertrag geeinigt wurde. Das wird an einigen Stellen auch zu Verbesserungen für Schutzsuchende führen. Systematisch - also für alle, in umfassender Weise - ist jedoch keine Wende zu erwarten. So bleibt das Fazit zu ziehen, was bereits über den Koalitionsvertrag gezogen werden musste: eine asylpolitische Kurskorrektur ist das nicht. Ein klein machendes, ein erniedrigendes und demütigendes System wird humanitär angestrichen. Eine wirkliche Korrektur wäre es beispielsweise gewesen, die Kommunen bei der dezentralen Unterbringung zu unterstützen, anstatt Millionen für den Betrieb der Aufnahmelager aufzuwenden.

Ärgerlich zudem - auch dies war bereits beim Koalitionsvertrag zu kritisieren - das viele Vorhaben als Konzept daherkommen. Eine umfassende und nachhaltige Veränderung muss legislativ, zum Beispiel über ein neues Flüchtlingsaufnahmegesetz erfolgen. Ein solches hatte die Linksfraktion bereits in der letzten Legislatur vorgelegt. So bleibt eine Beteiligung des Parlaments nur über den Weg des Haushalts möglich. Die Umsetzung obliegt allein den Ministerien - viel zu häufig ist das das Innenministerium.

 

#WöllerRücktritt

Aus dem Umfeld des linXXnet, aber nicht von der LINKEN entstanden - so wird über die Seite https://www.woeller-ruecktritt.de/ gemunkelt. Auch asylpolitisch lassen sich inzwischen einige Gründe dafür finden, warum dieser Innenminister nicht mehr tragbar ist. Abschiebungen in den Irak hat er erst ermöglicht, dann durchgesetzt, auf der Innenministerkonferenz setzt er sich erfolgreich für ein Ende des Abschiebestopps nach Syrien ein, Abschiebungen aus Jugendhilfeeinrichtungen, seine Härtefallkommission hat er mehr als das eine Mal um Faisal Jahangir brüskiert etc. pp. Aber lest selbst und noch viel mehr!

Wir nehmen gern Feedback zum Newsletter und Anregungen zu unserer asyl- und migrationspolitischen Arbeit in Empfang! Bleiben Sie/ bleibt solidarisch!

linXXnet - Brandstraße 15 - 04277 Leipzig - www.linxxnet.de

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