Nach acht Jahren und unterschiedlichen Vorschlägen sowie langer Verhandlungen wurde die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) am 10. April 2024 durch eine Mehrheit des Europäischen Parlaments beschlossen. Durch verpflichtende Grenzverfahren unter Haftbedingungen – auch für Kinder – sowie gesenkte Standards für sogenannte »sichere Drittstaaten« und zusätzliche Verschärfungen im Fall von »Krisen« stellt die Reform eine massive Verschlechterung des bisherigen EU-Asylrechts dar. Das Recht auf Asyl in der EU wird faktisch abgeschafft.
Eine Vielzahl an Geflüchteten muss zukünftig ihr Asylverfahren abgeschottet von der Außenwelt hinter Stacheldraht an den Außengrenzen durchlaufen. Die Asylgrenzverfahren, die nach einem ersten Screening nach Ankunft erfolgen, sollen in zwölf Wochen abgeschlossen sein. Daran anschließen kann sich dann ein neues Abschiebungsgrenzverfahren, was ebenfalls bis zu zwölf Wochen dauern kann. Während dieser Zeit sollen die Asylsuchenden als »nicht eingereist« gelten und in absehbar geschlossenen Asylzentren an den Außengrenzen festgehalten werden.
Für drei Gruppen von schutzsuchenden Menschen ist die Anwendung dieser Grenzverfahren verpflichtend: Für Menschen aus Herkunftsländer mit einer europaweiten Schutzquote von unter 20 Prozent, für Personen – selbst unbegleiteten Minderjährigen – denen unterstellt wird, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu sein sowie für Schutzsuchenden, denen vorgeworfen wird, die Behörden zu täuschen, weil z.B. vermeintlich Dokumente zerstört wurden. Kinder und Familien werden nicht von diesen Verfahren ausgenommen.
Zukünftig können deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als sicher eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, noch muss das ganze Land sicher sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die Sicherheit schlicht angenommen werden können.
Statt das Dublin-Verfahren zu reformieren, treten mit dem Beschluss massive Verschlechterungen des bisherigen EU-Asylrechts ein. So werden beispielsweise Überstellungsfristen verlängert, wodurch der Rechtsschutz von Flüchtlingen weiter eingeschränkt wird. Der sogenannte "Solidaritätsmechanismus" sieht vor, dass EU-Staaten sich von der Aufnahme von Schutzsuchenden freikaufen können, u.a. durch Investitionen in Grenzaufrüstung.
Die Konsequenz dieser "Reform" ist einzig und allein, dass Schutzsuchende an den EU-Außengrenzen eingesperrt, kriminalisiert und möglichst schnell abgeschoben werden. Da immer noch die Verantwortung des Grenzschutzes bei den Grenzstaaten liegt, werden gewaltsame Pushbacks nicht verhindert, sondern im Gegenteil als präventiver Grenzschutz deklariert.
Verstärkt wird dieser Punkt durch das Konzept der "Instrumentalisierung" von Migration in der sogenannten Krisenverordnung, die den Mitgliedstaaten verschiedene Ausnahmen von den dann eigentlich gültigen Regeln erlaubt. Ob es eine Krise in einem Mitgliedstaat gibt, der solche Ausnahmen erlaubt, wird von der Kommission auf Antrag des Mitgliedstaates festgestellt und in Entscheidungen der Kommission sowie einem Umsetzungsrechtsakt des Rates festgehalten.
Statt Probleme in der Asyl- und Migrationspolitik zu lösen, gibt die Reform dem europaweiten Rechtsruck nach, Menschenrechtsverletzungen werden legalisiert. Rechtsbrüche der einzelnen Länder werden weiter bestärkt, statt eingedämmt oder zumindest verurteilt. Die Linke hat im EU-Parlament gegen die Reform gestimmt, denn das Recht auf Asyl muss weiterhin verteidigt werden. Es benötigt eine humane Asylpolitik, welche ein solidarisches Aufnahmesystem, menschenwürdige Unterbringungen sowie die Entlastung der Ersteinreiseländer vorsieht. Die Beteiligung an dem bestehenden rassistischen Diskurs ist dafür nicht förderlich. Statt Geld in den Grenzschutz zu investieren, muss in europäische Seenotrettung investiert werden, um legale und sichere Wege sowie ein offenes Europa zu gewährleisten.
Genauer nachlesen, warum die fluchtpolitischen Sprecher*innen der Linken auf EU-, Bundes- und Landesebene gegen die Reform gestimmt haben, könnt ihr hier: https://jule.linxxnet.de/geas-reform-historischer-kniefall-vor-den-rechtspopulisten-europas-20-12-2023/
Pro Asyl hat die einzelnen Punkte des Anti-Asyl-Deals hier beschrieben: https://www.proasyl.de/news/geas-reform-im-eu-parlament-historischer-tiefpunkt-fuer-den-fluechtlingsschutz-in-europa/
Einen Vorgeschmack auf das, was GEAS bedeutet, bietet der Bericht der Rosa-Luxemburg-Stiftung von der griechischen Insel Lesbos: https://www.rosalux.de/news/id/51940/die-unbekannten-toten-von-lesbos |