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Antira Landtag Watch: November 2021

Es sind schockierende Bilder, die erneut die Krise der Europäischen Union offenlegen. Erneut sammeln sich Schutzsuchende an einer ihrer Außengrenzen, kommt es zu brutalen PushBacks, Zäune werden hochgezogen und Mauern gefordert.

An der sächsischen Grenze zu Polen wiederum - geht das Leben weiter wie gewohnt. Die Bundespolizei zeigt zwar stärkere Präsenz und hin und wieder werden Menschen registriert, die es von Belarus bis über die Oder-Neiße-Grenze geschafft haben, aber Krise? Fehlanzeige. In den Aufnahmeeinrichtungen des Freistaats jedoch sind bedenkliche Entwicklungen zu verzeichnen. Dies sowie Updates zu einem Aufnahmeprogramm für afghanische Schutzsuchende, der Bleiberechtsoffensive und einem ihrer wichtigen Details - dem Gesundheitsschutz der vor Abschiebungen gehen muss - in diesem Newsletter.

#MauerfallJetzt! Humanitäre Korridore schaffen!

Halten wir zunächst einmal fest: Die sächsischen Kommunen haben Platz. Am 30. Juni 2021 hielten die 13 Landkreise und kreisfreie Städte insgesamt 4.204 Plätze in Wohnungen vor. Mit 2.653 freien Plätzen in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften waren die Kommunen im Sommer auf die Ankunft von knapp 7.000 Menschen vorbereitet [https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=7016&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined].  Auch in landeseigenen Immobilien stehen mehr als 16.000 Quadratmeter zur Wohnnutzung leer (vgl. Anlage 5, Drucksache 7/7327). Von Juni bis Oktober 2021 wurden in Sachsen 5.155 Menschen aufgenommen, im Vergleichszeitraum 2020 waren es 2.325, 2015 insgesamt 51.095. Eine zu bewältigende Aufgabe. Umso mehr, dass einige Menschen auch in andere Bundesländer verteilt werden. 

Währenddessen legte aber Ministerpräsident Michael Kretschmer los, forderte Mauern, schien in Presse-Interviews nicht mehr klar zu haben, dass auch die neuankommenden Schutzsuchenden erst ein Asylverfahren durchlaufen müssen und erst dann gegebenenfalls Abschiebebehörden aktiv werden können. Und nicht nur das: Ganz im Sinne rassistischer Mobs auf Sachsens Straße forderte er die Bilder von notleidenen Menschen im Grenzgebiet "auszuhalten". Wir sind fassungslos!

Die Krise, die der Ministerpräsident an der Oder-Neiße-Grenze sieht, findet jedoch nicht statt. Sie ist eine Grenze weiter, an der belarussisch-polnischen Grenze. Mindestens neun Menschen sind bereits gestorben, etwa 5.000 harren dort ungeschützt in eisigen Temperaturen aus. In Sachsen rief Jule gemeinsam mit dem Sächsischen Flüchtlingsrat e.V., Wir packens An e.V., Aktiven in Görlitz und ihrem dort wohnhaften Fraktionskollegen Mirko Schultze zu Solidaritätsaktion in Sachsen und Brandenburg auf [https://jule.linxxnet.de/solidaritaet-kennt-keine-grenzen-solidarnosc-nie-zna-granic-unterstuetzungsaktion-fuer-gefluechtete-an-der-deutsch-polnischen-grenze-09-11-2021/]. Sachspenden wurden gesammelt und tatsächlich, das LINKE-Büro in der Görlitzer Kreisgeschäftsstelle war am Freitag vergangener Woche gut gefüllt [https://twitter.com/luna_le/status/1459230234037919750]. In dieser Woche sollen die Spenden vom Wir packens an e.V. an die Grenze zu Belarus gefahren werden. Geld könnt ihr weiter spenden, es wird an Initiativen weitergeleitet, die im Grenzgebiet zwischen Belarus und Polen aktiv sind.

Dabei darf aber nicht stehengeblieben werden. Die Hauptforderungen aus dem Aufruf: "Es heißt nun endlich, Verantwortung zu übernehmen und einen humanitären Korridor von Belarus durch Polen nach Deutschland zu schaffen. Die Menschen in den Camps in Griechenland, Bosnien und Serbien müssen endlich evakuiert werden! "

Am Freitag, dem 19. November debattiert übrigens der Sächsische Landtag auf Antrag der Fraktion DIE LINKE über die Situation in Belarus und das, was Sachsen tun kann und sollte. Ungefähr ab 11.30 Uhr auch auf der Website des Landtags live zu verfolgen [https://www.landtag.sachsen.de/de/aktuelles/liveuebertragung/index.cshtml].

Leseempfehlung übrigens für dieses Interview von PRO ASYL mit der polnischen Rechtsanwältin Marta Górczyńska [https://www.proasyl.de/news/an-der-polnischen-grenze-eine-politik-die-menschen-einfach-sterben-laesst/].

Platz in den Kommunen aber Zeltlager in Sachsen? Muss nicht sein!

In den sächsischen Camps wiederum ist die Lage angespannt. Dem war bereits vor den neuen Fluchtbewegungen über Belarus und Polen so. Am 19. September demonstrierten Geflüchtete, die in der Aufnahmeeinrichtung Schneeberg leben müssen, für die Schließung des Lagers und forderten ihr Recht auf Arbeit, Wohnung und Gesundheitsversorgung ein [https://la-presse.org/protest-eae-schneeberg/]. Jule nahm diese Demo sowie die neue Fluchtbewegung zum Anlass, dem Camp einen Besuch abzustatten. Ihre Eindrücke hat sie hier zusammengefasst [https://jule.linxxnet.de/besuch-in-der-erstaufnahmeeinrichtung-in-schneeberg-menschenwuerdige-unterbringung-und-zugang-zu-rechten-28-10-2021/]. Zentraler Kritikpunkt ist die abgelegene Lage Schneebergs. Und es scheint, als ob trotz erheblichen Engagements einiger Malteser-Mitarbeiter:innen vor Ort, die Landesdirektion immer wieder Steine in den Weg wirft. Die Perspektive der Bewohner:innen anzuhören scheint nicht in ihrem Interesse zu sein. Krankheiten und besondere Schutzbedarfe werden nicht erkannt, das berichten auch Mitstreiter:innen aus dem linXXnet-Kollektiv, die im Rahmen der Camptours in den letzten Monaten regelmäßig an die Einrichtungen Schneeberg und Dölzig gefahren sind. Einer davon, selber geflüchtet, wurde übrigens nicht als meine Begleitung für den Besuch in Schneeberg zugelassen. In der Vergangenheit hatte er in Kritik an den Zuständen im nicht minder problematischen Lager Dölzig geäußert. Das war der Landesdirektion zu viel. Jule hat sich in einem Insta-Video dazu geäußert [https://www.instagram.com/p/CVlJfh_DpQt/].

Bis Schneeberg geschlossen ist, setzt sich Jule nun unter anderem für den Zugang des Help e.V. zur EA ein. Der Verein ist Träger der Asylberatung und vor Ort tätig. Um direkt und niedrigschwellig im Camp beraten zu können, benötigt es jedoch die Erlaubnis der Landesdirektion. Die steht nun aus.

Allgemein zur Situation in den Camps: in Sachsen werden bald drei Zelt-Lager betrieben. Nach der Bremer Straße in Dresden und Mockau III in Leipzig soll Ende des Jahres auch Mockau II ans Netz gehen. In einer Pressemitteilung habe ich das diese Woche kritisiert und ein alternatives Vorgehen angebracht: "Mit Blick auf die freien Kapazitäten in befestigten Landesliegenschaften und in den Kommunen halte ich das für absolut unnötig, ohne Zweifel auch für unmenschlich und einem sicheren Ankommen in einer gesunden Umgebung widersprechend. Die Zeltlager müssen geschlossen und das System der Aufnahme und Verteilung  geändert werden: Die Aufenthaltsdauer in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes müssen so kurz wie möglich gehalten und eine schnelle Verteilung in die Kommunen gewährleistet werden. Die kommunale Ebene braucht verlässliche Prognosen über die Verteilungen. 

Sofern Kommunen sich dann gezwungen sehen, neue Kapazitäten zu schaffen, müssen sie finanziell unterstützt werden. Das ist das weitaus vorausschauendere und humanere Vorgehen, als Geld für Zelte aus dem Fenster zu werfen und Krisen-Interviews zu geben."

Und wieder kein sächsisches Aufnahmeprogramm, auch nicht für afghanische Menschen.

Erregt uns das, was derzeit in Belarus geschieht, so war es vor wenigen Wochen noch die Situation in Afghanistan. Die Machtübernahme der Taliban hat unzählig viele Menschen in Lebensgefahr gebracht, beschämend war, wie schleppend zunächst die Evakuierungsaktionen von deutscher Seite aus liefen. Erschreckend auch, dass der Personenkreis der zu evakuierenden Personen enorm eng gezogen wurde.

Zunächst sollten nur Ortskräfte der Bundeswehr und Mitarbeiter:innen von Ministerien wie der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit evakuiert werden. Eine Ausweitung des Personenkreises hielt sich die Bundesregierung offen, schaffte damit aber keine Transparenz für die in Lebensgefahr schwebenden Menschen in Afghanistan. Insbesondere jene, die vor der Machtübernahme nach Kabul geflohen waren, um dort ein Visum zu beantragen, waren in eine tödliche Falle gelaufen. Aus diesem Grund beantragte die Fraktion DIE LINKE ein umfassendes, eigenes Landesaufnahmeprogramm, dass auch Journalist:innen, Künstler:innen, Frauenrechtler:innen, NGO-Mitarbeiter:innen und weitere Personengruppen umfasste [https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=7475&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=0&dok_id=undefined]. Die Antwort der Staatsregierung: ein eigenes Landesaufnahmeprogramm ist nicht vorgesehen, denn dafür benötige es das Einvernehmen des Bundesinnenministeriums, was aber nicht vorliege. Eine Verkehrung. Muss es doch erst aufgelegt werden, damit das Einvernehmen eingeholt werden kann. So prallte das Anliegen der Linksfraktion auch in der Aktuellen Debatte an den Regierungskoalitionen ab [https://www.landtag.sachsen.de/de/aktuelles/videoarchiv/sitzung/1566/3?page=1]. Jules Rede ist hier nachzulesen/sehen_ https://jule.linxxnet.de/auch-sachsen-kann-und-muss-menschen-vor-dem-islamistischen-kalifat-der-taliban-retten-30-09-2021/#more-22276


Wir dürfen Afghanistan und die dort vom islamistischen Kalifat der Taliban bedrohten Menschen nicht aus dem Blick verlieren. Die neue Bundesregierung ist am Zug, die Evakuierungen fortzusetzen, einen breiten Kreis an Menschen zu schützen und das Aufenthaltsgesetz insofern zu ändern, dass die Bundesländer mehr Spielraum erhalten selbstbestimmt Menschen in Not aufzunehmen!

Bleiberechtsantrag - Wie weiter?

Die Entwicklung in Afghanistan hat klar auch Auswirkungen auf die asyl- und aufenthaltsrechtliche Lage von Menschen afghanischer Staatsbürgerschaft, die sich bereits in Deutschland aufhalten. Denn abgeschoben kann nun wirklich nicht mehr, nachdem es schon über Jahre hieß: #afghanistannotsafe. Für den Fall, dass im Herkunftsland gravierende Veränderungen eintreten, stellt sich die Frage der Aufenthaltserteilung neu. Dafür kennt das deutsche Asyl- und Aufenthaltsrecht Mittel und Wege. 

Als Fraktion DIE LINKE haben wir auch deshalb die Staatsregierung aufgefordert, für die in Sachsen lebenden vollziehbar ausreisepflichtigen Menschen schnelle Bleiberechtslösungen zu schaffen [https://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=7155&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined]. Nicht nur für Afghan:innen. In unserem letzten Newsletter hatten wir bereits berichtet [https://linxx.net/newsletter/?na=view&id=32]. Inzwischen liegt die Antwort der Staatsregierung vor. Was wir fordern, sei an vielen Stellen nicht mit dem Bundesrecht vereinbar. Dem widersprechen zahlreiche Beispiele aus anderen Bundesländern, in denen Bleiberechte per Erlass effektiv gesichert werden und Ausländerbehörden proaktiv auf Aufenthaltssicherung anstatt von Aufenthaltsbeendigung hinarbeiten. Wir gehen dem auf den Grund und haben für den 09. Dezember 2021 eine Sachverständigenanhörung im Sächsischen Landtag einberufen. Beginn ist 10 Uhr, die Veranstaltung ist öffentlich. 

Ein weiterer Grund für den Antrag war übrigens der Fall der Familie Imerlishvili. Tatsächlich ist die Familie wieder zurück in Pirna. Ein Beschluss des Oberverwaltungsgericht Bautzen beurteilte die Abschiebung als rechtswidrig und ordnete die Rückkehr an. Eine Aufenthaltserlaubnis steht noch aus, doch kann nun das Beste erhofft werden. Die Initiative #BringBackOurNeighbours hatte dafür gesorgt, dass eine breite Diskussion um die sächsische Abschiebepraxis angestoßen wurde. Dafür wurde sie in dieser Woche mit dem Hauptpreis für Demokratie der Amadeu-Antonio-Stiftung ausgezeichnet. Jule hat gratuliert [https://jule.linxxnet.de/bringbackourneighbours-und-weitere-starke-initiativen-erhalten-saechsischen-foerderpreis-fuer-demokratie-09-11-2021/].

Gesundheitsschutz geht vor Abschiebungen!

Die Bleiberechtssicherung ist ein komplexer Akt, denn das Asyl- und Aufenthaltsrecht kennt zahlreiche Fallstricke. Und so passt nicht alles in einen Antrag. Am 26. Oktober haben wir daher mit Expert:innen debattiert, wie erkrankte Menschen vor der Abschiebung bewahrt werden können. Denn fachärztliche Stellungnahmen werden häufig ignoriert, psychotherapeutische Stellungnahmen von Gesetz wegen gleich überhaupt nicht berücksichtigt. Daran muss sich was ändern. Ein Mitschnitt der Veranstaltung findet ihr hier [LINK]. Ein weiterer Antrag der Fraktion DIE LINKE hierzu ist derzeit in Arbeit. Und: die Bundesarbeitsgemeinschaft Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF) möchte diese Regelung kippen und im Zweifel vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Dafür sucht sie Präzedenzfälle. Weitere Infos hierzu will BAfF noch in diesem Jahr vorlegen. Die Arbeit jedoch kann sich gespart werden, wenn die neue Regierungskoalition auf Bundesebene entsprechende Änderungen vornimmt und das Aufenthaltsgesetz reformieren wird. Zumindest beim Gesundheitsschutz wird darüber debattiert, wie ein ausführlicher Bericht des Deutschlandfunks zeigt [https://www.deutschlandfunk.de/flucht-und-trauma-warum-in-deutschland-therapieplaetze-fuer.724.de.html?dram:article_id=505242].

In einer zweiten Veranstaltung wollten wir uns mit der Frage beschäftigen, ob die elektronische Gesundheitskarte auch in Sachsen eingeführt werden kann. Von Dr. Kris Kaufmann, Sozialbürgermeisterin aus Dresden, wollten wir einen ersten Evaluationsbericht hören. Denn die Stadt hat gegen den Willen der hiesigen Landesregierung die Gesundheitskarte im April 2020 eingeführt. Auch Erfahrungen von refugio Thüringen - dort gibt es die Karte landesweit - sollten in die Veranstaltung einfließen. Leider musste auch hier eine krankheitsbedingte Absage erfolgen. Wir holen die Veranstaltung am 9. Dezember 2021, 17:00 digital nach. Hier findet sich der Zugangslink zur Veranstaltung: https://links-fraktionsachsen.webex.com/links-fraktionsachsen/j.php?MTID=m785b8487e11bed99db1f0431ad2e6f71

Vielleicht treffen wir uns bei einem der Termine, bei Demos oder Spendensammlungen.

Bleibt gesund und solidarisch und stabil im Kampf für eine humanistische, offene Politik und Gesellschaft!

linXXnet - Brandstraße 15 - 04277 Leipzig - www.linxxnet.de

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