Abbestellen
Im Browser ansehen
Antira Landtag Watch

#20: Der Winter und die Corona-Pandemie
Intro

Der Winter und die Corona-Pandemie trifft die, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt sind, am härtesten. Hierzulande sind Geflüchtete im Bezug des Asylbewerberleistungsesetzes vom Bezug kostenfreier Masken ausgeschlossen. Eine großflächige Initiative zur Evakuierung der Massenunterkünfte zugunsten dezentraler Unterbringung in Pandemiezeiten fehlt.

Und wenn wir den Blick an die Ränder der Europäischen Union richten schlägt uns weiter krasses Leid entgegen, das die europäischen Regierungen nicht zu lösen bereit sind. In einem Interview mit dem Journalisten Thomas Datt hat die Redaktion des linksdrehenden radios auf dem Leipziger freien Radio blau die Situation der Schutzsuchenden vor den Toren der EU in Bosnien-Herzegowina fokussiert, ein Nachhörtipp: https://www.linksdrehendes.de/2021/02/08/ldr421-vom-05-02-2021/.


Im aktuellen Newsletter geht es um vier sächsische Themen:

Hausordnungen in Asylunterkünften endlich menschen- und grundrechtskonform ausgestalten!

Die Hausordnungen der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen verletzen offensichtlich massiv die Persönlichkeitsrechte der Bewohnenden. Sie entsprechen der Rechtsauffassung der Landesregierung, dass die Lager keine Wohnungen im Sinne des Grundgesetzes seien, und erlauben somit weit reichende Eingriffe in die Privatsphäre der Geflüchteten. So ist das willkürliche Betreten der Zimmer durch das Personal darin ebenso vorgesehen wie ein mögliches generelles Besuchsverbot. Auch der Konsum und sogar der Besitz von Alkohol sind untersagt. Am Eingang gibt es Einlasskontrollen, in deren Zuge die Namen und Ausweisnummern aller Passant*innen aufgenommen werden. Als Strafe für Fehlverhalten kann den Bewohner*innen ein Hausverbot von mehreren Stunden erteilt werden, während welchem sie aus ihrer Wohnung ausgesperrt bleiben.

Nachdem die Kenia-Koalition den Antrag der Linksfraktion (http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=630&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=0&dok_id=undefined), die Privatsphäre in Gemeinschaftsunterkünften zu achten, im Februar 2020 abgelehnt hatte, sagte sie zumindest eine diesbezügliche Überarbeitung der Hausordnungen vor. Eine aktuelle Kleine Anfrage zeigt jedoch, dass es keinerlei Veränderungen gegeben hat (http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=4271&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined).

Welche massiven Probleme die restriktiven Regeln verursachen, zeigt der Fall eines Geflüchteten aus der Erstaufnahmeeinrichtung Hamburger Straße in Dresden: Allein den Schikanen der zuständigen Security ausgesetzt, musste er nach einer verbalen Auseinandersetzung mit dem Sicherheitspersonal am 2. Dezember spätabends insgesamt vier Stunden in eisiger Kälte ausharren, ehe er die Unterkunft wieder betreten durfte. Das offensichtlich gesundheitsgefährdende Vorgehen der Security wurde dabei, auch nachträglich, von der Polizei protegiert (https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/2020/12/15/pm-naechtliche-schikane-in-dresdner-lager/).

Auch in anderen Bundesländern gelten ähnlich fragwürdige Hausordnungen für Gemeinschaftsunterkünfte, doch regt sich inzwischen etwa in Baden-Württemberg fundierter Widerstand gegen die von einer grün-schwarzen Landesregierung geduldeten rechtswidrigen Zustände: Ein Rechtsgutachten, initiiert durch die Gruppen „Grundrechte am Eingang abgeben“ und „LEA-Watch“, bescheinigte den dortigen Hausordnungen eindeutige Verletzungen der Grund- und Freiheitsrechte (https://jungle.world/artikel/2020/49/die-schwaebische-hausordnung). Daraufhin verfasste ein breites Bündnis aus der Zivilgesellschaft offene Briefe an die Landesregierung und die Stadt Freiburg, um eine Beendigung der unwürdigen Hausordnungspraxis zu erwirken. Eine Kampagne mit Vorbildfunktion, auch für Sachsen! (https://grundrechte-am-eingang-abgeben.de/).

Rechts- und Planungssicherheit für Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung schaffen! - Erlass liegt vor

Progressiv muss der Zugang Geflüchteter in Ausbildung und Beschäftigung ausgestaltet werden. Vorschläge dafür hatte die Linksfraktion in einem Antrag dargelegt (http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=3951&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined). Beispielsweise sollten Ausländerbehörden verpflichtet werden, bei einem Antrag auf Ausbildungsduldung oder auch die recht neue Beschäftigungsduldung gleich eine weitere Prüfung vorzunehmen: die auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, weil die Abschiebung rechtlich oder tatsächlich nicht möglich ist. Die Möglichkeit gibt das Aufenthaltsrecht her und hat den Vorteil, dass der Aufenthalt nun direkt erlaubt und nicht geduldet ist. 

Die Antwort des Staatsministerium des Inneren auf diesen Vorschlag nur zeigt den Widerwillen, einfache Lösungen zu finden. Diese Aufenthaltserlaubnis werde nur dann erteilt, "wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen", Genau diese zu prüfen, war Anliegen des Antrags. Denn genau das - die Voraussetzungen für diese und andere Aufenthaltserlaubnisse oder auch Duldungen zu prüfen - unterlassen Ausländerbehörden viel zu häufig. Dabei wollte die Kenia-Koalition dafür Sorge tragen, dass die Ausländerbehörden ihren "Hinweis-, Anstoß- und Dokumentationspflichten umfassend nachkommen." Chance verpasst.

Bestechend ist mal wieder, was auf einen anderen Vorschlag hin als Antwort folgt. Da die Beschäftigungsduldung, im Bundesrecht geregelt, nur für Menschen greift, die bis zum 01. August 2018 eingereist sind, kann eine sogenannte Ermessensduldung vor der Abschiebung schützen. Geht aber nicht, meint das Innenministerium. "Anreize für eine Zuwanderung" könnten so geschaffen werden. Das dürfte dann unter #Pullshit laufen. Vor allem aber kann die Ermessensduldung laut Gesetzestext bei "erheblichem öffentlichen Interesse" erteilt werden. Was, wenn nicht eine bevorstehende Ausbildung oder Beschäftigung, ist dann im öffentlichen Interesse?

Spannend ist ein Blick in den neuen Erlass [https://jule.linxxnet.de/wp-content/uploads/2021/02/Erlass-Mitwirkungspflicht.pdf], den das Innenministerium über die Mitwirkungspflichten verfasst hat, also Pflichten, die Menschen auferlegt werden, um beispielsweise eine Duldung zu erhalten. Einher kommt der Erlass mit Anwendungshinweisen für die Ausbildungsduldung [https://jule.linxxnet.de/wp-content/uploads/2021/02/Anwendungshinweise-Ausbildungsduldung.pdf].

Eines der Ziele war es, die Entscheidungspraxis der Ausländerbehörden zu vereinheitlichen. Mit gutem Grund, denn gerade bei der Erteilung von Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungen gibt es starke Variationen [https://www.saechsischer-fluechtlingsrat.de/de/publikationen/zahlen-und-grafiken/]. Das Ziel kann als verfehlt konstatiert werden. Denn wenn schon "konkrete Maßnahmen der Aufenthaltsbeendigung", also für die Abschiebung, eingeleitet wurden, muss ein Antrag abgelehnt werden. Wichtig ist hier, was als eine solche Maßnahme gilt. Und das ist viel. Unter anderem genügt es, wenn die lokale Ausländerbehörde bei der Zentralen Ausländerbehörden bereits um Amtshilfe beim Vollzug der Abschiebung ersucht hat. Damit geht Sachsen einen restriktiven Weg. Ein Ziel wurde immerhin erreicht: die Ausländerbehörden müssen ihre Schritte genau dokumentieren. Entscheidungen werden also nachvollziehbarer sein - im Zweifel nach der Abschiebung.

Förderung der zivilgesellschaftlichen Arbeit für Demokratie und Teilhabe

Die Folgen des Jahres 2020 schlagen sich heute in der Förderung von Projekten nieder, die sich Hoffnung machten, für ihre Arbeit gefördert zu werden. Der Hintergrund liegt in der Vergabe von Mitteln aus den Förderrichtlinien "Weltoffenes Sachsen" für die Demokratiearbeit und den "Integrativen Maßnahmen" für die Integration und gleichberechtigte Partizipation von Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte. 

Nun sind zwar die Förderentscheidungen gefällt, Prozess und Ergebniss liefen aber alles andere als glatt. Die Vereine, die eine positive Nachricht erhalten haben, wissen nach wie vor nicht, wie hoch die Förderung für ihr Projekt ausfällt. Die, die deren Projekte abgelehnt wurden, stehen oft nach jahrelanger Arbeit ohne weitere Mittel da, neue Projekte schienen teils gar keine Chance auf Förderung zu haben. Augenfällig ist die regionale Verteilung.

Bei der Richtlinie Weltoffenes Sachsen (http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=4858&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined) gestaltet sie sich wie folgt: in den Landkreisen Bautzen und Vogtland wurden gar keine Projekte bewilligt, im Landkreis Meißen nur eines, im Erzgebirgskreis zwei, in Mittelsachsen drei und in Nordsachsen vier und dabei alles Projekte von Trägern, die selbst nicht in den Landkreisen ansässig sind.

Bei den Integrativen Maßnahmen (http://edas.landtag.sachsen.de/viewer.aspx?dok_nr=4942&dok_art=Drs&leg_per=7&pos_dok=1&dok_id=undefined) sieht das dann so aus: auch hier geht das Vogtland leer aus, 

Im Erzgebirgskreis werden zwei, in Mittelsachsen drei und in Nordsachsen vier Projekte gefördert, wobei hier jeweils nur ein Projekt auch im Landkreis ansässig ist. Auch in den Landkreisen Zwickau werden nur drei und im Landkreis Leipzig nur zwei landkreiseigene Projekte gefördert. Etwa die Hälfte der 83 geförderten Projekte kommen aus den beiden Großstädten Dresden und Leipzig.

Die Linksfraktion fordert:

- Mehrjährig geförderte, herausgehobene Vorhaben wie Asylberatung oder psychosoziale Versorgung müssen langfristig und institutionell gefördert werden. Ihr Budget darf nicht einen großen Anteil der projektbasierten Förderrichtlinien blockieren. Bei Integrative Maßnahmen mit einem Budget von 11,5 Mio. Euro bleiben nur fünf Millionen für andere Träger übrig.

- Um eine regionale Gleichverteilung zu gewährleisten, müssen Träger vor allem in den bisher unterrepräsentierten Landkreisen bei Projektentwicklung und Antragsstellung empowert und beraten werden.

- Die Budgets für Demokratie- und Asyl- und Integrationsarbeit müssen aufgestockt werden.

- Die Entscheidungsfindung muss demokratisiert werden, damit Vertrauen in die Förderrichtlinien wiederhergestellt werden kann. Eine Bank -  die Sächsische Aufbaubank - entscheidet hauptsächlich, inhaltlich und hinter verschlossenen Türen über die Projekte. Das darf nicht sein. Hier ist das Sächsische Sozialministerium in der Pflicht, wirksame Mechanismen zu schaffen, die für ein transparentes Verfahren und zufriedenstellende Ergebnisse sorgen.

Zur Pressemitteilung von Juliane Nagel: https://jule.linxxnet.de/integrations-und-demokratiearbeit-bald-noch-schlimmer-unterfinanziert-grosse-regionale-ungleichgewichte-10-02-2021/

Abschiebemoratorium

Am 09. Februar fand wieder eine Sammelabschiebung nach Afghanistan statt, zwei Menschen aus Sachsen wurden abgeschoben, 26 Menschen aus der gesamten Bundesrepublik. Dazu gibt es nun neue Entwicklungen, nämlich in der Rechtsprechung deutscher Verwaltungsgerichte. Die Pandemie hat die wirtschaftliche Situation in Afghanistan erodieren lassen.

Das erkennen mehr und mehr Gerichte an und sprechen Abschiebungsverbote aus, darunter das Oberverwaltungsgericht Bremen, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, das Verwaltungsgericht Dresden ist dabei und viele mehr. Einen Musterantrag hat die Refugee Law Clinic Leipzig e.V. und der FJZ e.V. im Dorf der Jugend in Grimma vorbereitet [https://rlcl.de/s/Antrag-auf-Abschiebungsverbot-Afghanistan-wegen-Auswirkungen-der-Pandemie-Stand-10022021.odt]. Empfohlen wird, einen Wiederaufgreifensantrag beim BAMF zu stellen, begleitet mit einem Eilantrag beim Verwaltungsgericht. Wenn der Antrag negativ ausfällt, dann den Rechtsbehelf und die Klagefrist beachten!

Für Rückfragen gerade zur Individualisierung des Antrags bietet das Team über bleiberecht@dorfderjugend.de seinen Rat an. Es lohnt, das im Falle vollziehbar ausreisepflichtiger Menschen zu probieren!

Wichtiger jedoch: über den Einzelfall hinaus eine Regelung finden! Abschiebemoratorium jetzt!

Übrigens: auch die Refugee Law Clinic Leipzig (https://rlcl.de/de-unterstuetzen) und das Dorf der Jugend (https://dorfderjugend.de/unterstuetzung/spenden/finanzielle-unterstuetzung/) müssen derzeit mit Stellenkürzungen rechnen. Ihrer gemeinschaftlich betriebene Infostelle Asyl und Bildung in Grimma droht das Aus. Beide Vereine rufen zu Spenden mit dem Verwendungszweck "Infostelle Asyl und Bildung im DDJ" auf. Was die Infostelle in Grimma leistet und wie generell die Tätigkeit als Berater*in aussieht, zeigt dieser Artikel von Belltower News (https://www.belltower.news/migrationspolitik-in-sachsen-so-schaffen-wir-das-nicht-104795/)

Kosten für FFP2-Masken

Einen weiteren Musterantrag haben die Rechtsanwält*innen Carolin Helmecke und Raik Höfler für Menschen im Asylbewerberleistungs-Bezug geschrieben (http://kanzlei-feilitzsch.de/blog/wp-content/uploads/2021/02/Antragsmuster-Masken.pdf).

Kurze Frist von zwei, drei Tagen setzen, wenn die abgelaufen ist, entweder die Masken selber kaufen, Rechnung einreichen und Antrag auf Kostenerstattung stellen oder einstweiligen Rechtsschutz beantragen. 

Wir wünschen trotz all den Baustellen weiter viel Kraft bei eurer/ihrer wichtigen Arbeit für ein offenes & gleichberechtigtes Zusammenleben!

linXXnet - Brandstraße 15 - 04277 Leipzig - www.linxxnet.de

Abbestellen
MOSAICO Responsive Email Designer